Seit Jahren beschäftige ich mich mit der Herstellung von Schwarzbildern, wie ich diese nenne.
Ich mache ausschließlich Fotografien, welchen aufwändige Inszenierungen in vollkommener Dunkelheit zugrunde liegen.
Natürlich ist das Resultat ein schwarzes Bild.
Was sollte es auch sonst sein?
Aber die Wirklichkeit ist ja nicht, was man sieht, die Wirklichkeit ist was ist.
Daran bin ich interessiert.
Das möchte ich festhalten.
Mir geht es um die Wirklichkeit. Nicht deren bloßes Abbild mit all seinen Täuschungen.
Ich stelle Szenarien, oft mit vielen hundert Menschen und Gegenständen zusammen, dann verdunkle ich entweder den Raum, oder ich drehe mein Arbeitslicht ab, wenn ich im Freien fotografiere, selbstverständlich immer nachts.
Dann drücke ich den Auslöser.
Sofort.
In der selben Sekunde.
Auf dem Bild ist nichts zu sehen. Es ist einfach schwarz.
Oberflächlich betrachtet.
Dennoch ist die von mir hergestellte Situation Realität, wenn ich den Auslöser drücke. Auch wenn man diese auf dem Bild nicht mehr sehen kann.
Darum geht es mir.
Um das, was existiert, ganz gleich, ob etwas zu sehen ist oder ob das menschliche Auge darum, warum auch immer, betrogen wird.
Meine Bilder sind politische Statements.
Kritische Notate zur Zeit.
Bald nach meiner Ankunft machte ich unten am Treja ein Bild mit allen damaligen Einwohnern Calcatas. Das waren um viele mehr als jetzt. Genau zweihundertsiebzehn.
Ich weiß dass, denn meinen Arbeiten liegen bis ins kleinste Detail geplante Aufzeichnungen zugrunde. Ich überlasse nichts dem Zufall und jede von mir eingebaute Person befindet sich aus gutem Grund auf meinem Bild.
Meinem Schwarzbild.
Es war schwierig, die Menschen zu überreden, nachts den steilen, darüber hinaus steinigen Weg hinunter zu gehen. Nachdem ich allerdings viele für die Sache gewonnen hatte, wollten die wenigen nicht als jene festgemacht sein, welche das Ereignis verhindern, so
ging es zum Schluss wie von selbst.
Als es soweit war, beleuchtete ich den Weg und die Ebene, auf welcher ich die Inszenierung für meine Fotografie machen wollte, mit einer Serie von Lampen beinahe taghell.
Der Abstieg war für meine Figuren also ungefährlich.
Nur ungewöhnlich.
Ich hatte lange zu tun, mein Bildkonzept in der nächtlichen, allerdings
hell ausgeleuchteten Wildnis umzusetzen. Ich hatte mir als erstes Projekt in Calcata etwas Großes vorgenommen, weil mir unbekannte Räume mit unbekannten Menschen besonders unverformt und demnach ideal erscheinen. Besser funktionieren, als Projekte innerhalb bekannter Strukturen.
Mit Freunden.
Oder zumindest vertrauten Gesichtern.
Das hat sich in letzter Zeit als wenig zielführend herausgestellt.
Als die Menschen Calcatas ihre endgültige, von mir zugewiesene Position eingenommen hatten, die Gegenstände von mir nach einem bereits vor Tagen erarbeiteten Plan platziert worden waren, schaltete ich alle Lampen mittels eines Zentralschalters aus.
Dann machte ich das Foto.
Wie immer nur ein einziges.
Mit der kürzestmöglichen Belichtungszeit.
Ich will in meinen Fotografien ja nur einen Augenblick einfangen und keine Zeitspanne.
Ich drehte danach sofort alle Lampen wieder an, denn ich weiß von meinen anfänglichen Versuchen mit dieser Technik, dass lange Dunkelheit Verwirrung hervorrufen kann. Speziell dann, wenn die Szenerie so groß angelegt ist, wie jene unten am Treja und der Ort meinen Darstellern im selben Ausmaß unberechenbar erscheinen musste, solange er in vollkommene Dunkelheit gehüllt war. Schließlich standen sie zwischen Bäumen und Sträuchern am Ufer des unsichtbaren Flusses, beladen mit zahlreichen Gegenständen und von ebensovielen umgeben.
Ein Ausrutscher eines Darstellers während der Aufnahme hätte nicht nur die Wirklichkeit hinter dem Bild verändert, dieses also unbrauchbar für mich gemacht, denn natürlich sind meine Arbeiten lange vorbereitete Inszenierungen, minutiöse Handlungsmomente und keine Schnappschüsse, sondern er wäre verbunden gewesen mit der Gefahr einer Kettenreaktion. Und vielleicht sogar einer Panik, die vor allem die Gesundheit meiner Darsteller gefährdet hätte.
Es gab jedoch keine Probleme und die Menschen gingen zurück hinauf in den Ort, während ich mich daran machte, meine Utensilien zusammen zu packen.
Um die Beleuchtung habe ich mich erst am nächsten Tag gekümmert, schließlich brauchte ich Licht, um die Lampen abzubauen und hinaufzutragen.